THEATER DES GLOKALEN – ÜBER (MEDIEN-)THEATER UND (POST-)KOLONIALISMUS IN DER (VIRALEN) GLOBALISIERUNG
Ein Theorie- & Praxis-Seminar von kainkollektiv
Aktuell ist die Dualität der „glokalen Lage“, in der sich die Welt heute befindet, mit Händen zu greifen. Während die Corona-Pandemie den gesamten Globus überzieht, wirft sie die Einzelnen auf die jeweiligen Orte zurück, an denen diese sich gerade befinden. Im Lockdown wird das Lokale, das von einer globalen Krise ausgelöst wurde, zu einer völlig neuen Erfahrung: der Erfahrung, dass sich das Globale der Weltgesellschaft und das Lokale einer je spezifischen Existenz unauflöslich miteinander verbinden. Indes ist diese Erfahrung im Kern eine alte, denn sie rekurriert auf das Erbe der (europäischen) Kolonialisierung der Welt. Dieses Erbe scheint aktuell Europa in dramatischer Weise einzuholen und heimzusuchen. Doch während dieses „weltweite Drama“ dafür sorgt, dass hier (wie anderswo) die Theater schließen, das Reisen weitgehend eingestellt ist und sich alle in ihren Wohnungen verbarrikadieren, um mit der viralen Welt nur noch über die digitalen Endgeräte verbunden zu bleiben, stellt sich die Frage nach dem Zusammenleben auf dem Globus noch einmal ganz neu und dringlich. Und mit ihr nicht zuletzt auch die Frage, wie und zu was heute überhaupt noch Kunst/Theater zu machen wäre.
Das Performance-Kollektiv kainkollektiv arbeitet in seinen internationalen Theaterproduktionen (die bis nach Polen, Kroatien, Kamerun oder Madagaskar führen) seit Jahren intensiv an dem Verhältnis von Lokalität und Globalität, etwa in ihrer GLOBE OPERA Performance Serie, sowie an Fragen von Postkolonialismus, Afrofuturismus oder auch an der Relation von Kunst- und Sorgepraktiken. Zugleich sind kainkollektivs Arbeiten durch ein hohes Maß an Intermedialität gekennzeichnet, das von Film bis Oper, von Audiowalk über Rauminstallationen bis zu Online-Performances reicht. In diesem Seminar im Rahmen der Christoph Schlingensief Dozentur stellt kainkollektiv seine Arbeit vor und zur Diskussion, um von hier aus die Studierenden dazu einzuladen, in einen zugleich theoretischen wie praxisbezogenen Diskurs miteinander zu kommen, wie sich angesichts der Krise des Sozialen, der Kunst und ihrer Institutionen weiterhin oder auch anderweitig als bisher (Medien-)Theater machen ließe und zu welchem Ende überhaupt. Dabei will kainkollektiv im Sinne der Szenischen Forschung das Seminar an seinen eigenen aktuellen Versuchen, die Potentiale eines digitalen Online-Theaters zu erforschen, teilhaben lassen: von Schnittprogrammen für Smartphone-Videos bis zur Idee eines analog-digitalen Liveschnitts/Livestreams. Wie können wir unter Lockdown-Bedingungen, gewissermaßen aus unseren eigenen Homezones heraus weiter kritische, zeitgenössische Kunst produzieren? Und für wen oder was überhaupt? Um welche Welt sorgt sich die Kunst, die dabei entsteht? Und um welche Kunst sorgt sich die Welt (oder auch nicht…)?
Die praktischen, ästhetischen und medialen Suchbewegungen stehen in kainkollektivs Arbeiten stets im Kontext solch politischer, sozialer und historischer Fragestellungen, welche das Seminar gemeinsam in Zoom-Konferenzen verhandeln und daran anschließend praktisch verarbeiten wird. Was dabei das genaue gemeinsame (oder auch je singuläre) Ziel ist, wird Interessens- und Aushandlungssache der am Seminar Teilnehmenden sein und in den ersten Sitzungen zusammen festgelegt.
Kainkollektiv sind im Kern die Regisseurin und Musikerin Mirjam Schmuck und der Regisseur und Autor Fabian Lettow. Beide leben in Bochum, haben an der Ruhr-Universität u.a. Theaterwissenschaft studiert und entwickeln ihre Projekte von NRW aus in nationalen und internationalen Kooperationen und Netzwerken. Für seine Arbeit wurde und wird kainkollektiv seit 2012 durch das Ministerium für Kunst und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen kontinuierlich mit der Spitzenförderung Theater ausgezeichnet. 2015 erhielt kainkollektiv den Tabori Nachwuchspreis, die durch den Fonds Darstellende Künste vergebene höchste Theaterauszeichnung in der deutschsprachigen Freien Theater- und Performance-Szene. Mehr Infos unter: www.kainkollektiv.de.